Die TSV Vereinsschrift 2019 - jetzt Online lesen!
Editorial
Liebe Leser,
im TSV bieten wöchentlich hunderte Übungsleiter Trainingsstunden an, haben sie vorbereitet, organisieren Ersatz, wenn sie krank sind oder sagen auch mal die Stunde ab. Genauso der Einsatz der Kassenwarte, die rechtzeitig ihren Abschluss fertig haben. Oder der sportlichen Leiter, die neue Mitglieder beim Verband melden. Kurz: Diese Menschen übernehmen Verantwortung. Das erscheint völlig selbstverständlich.
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Einerseits finde ich das auch: Wer einen Job übernimmt, verpflichtet sich gleichzeitig gegenüber anderen Menschen. Andererseits scheint es keine Selbstverständlichkeit, dieses Commitment einzugehen. Ärzte drücken sich um eine klare Prognosen. Für den Diesel-Skandal findet sich kein einziger Verantwortlicher. Im Geschäft vertuschen Angestellte ihre Fehler. Und Politiker wollen sich in aller Regel auch nicht festlegen und angreifbar machen. Statt zu entscheiden, werden Expertenrunden eingeladen, die nach zwei Jahren teuren Tagens mindestens drei weitere Vorschläge entwickelt haben.
Das erinnert mich an den Buchtitel „Das war ich nicht“, in dem sich ein Banker, eine Übersetzerin und ein Schriftsteller sich aus ihrer Umgebung verdünnisieren, bevor sie auffliegen. Ja, es scheinen immer die anderen zu sein, die keine Verantwortung übernehmen.
Die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg hat uns Babyboomern kürzlich ganz gehörig die Leviten gelesen. Sie hat ganz deutlich gesagt, dass wir keine Verantwortung für die Umwelt, für den Planeten, eigentlich für das Leben unserer Kinder übernehmen. Was sagen wir denen, wenn sie uns fragen, warum habt ihr nichts getan? Ich reduziere im Haushalt zwar den Plastikverbrauch und fülle regelmäßig den gelben Sack. Ich heize im Winter gezielt und esse Bio.
Und ich weiß, dass das nicht genug ist, weil mein neuer Benziner jetzt 1,5 Liter mehr verbraucht als mein alter Diesel und ich über Weihnachten nach Indien geflogen bin.
Wo ist unser Mut, wenn Rechtsextreme sich immer lauter und öffentlicher zu Wort melden? Wo ist unser Mut, wenn in den sogenannten sozialen Medien, die Reflexionsfähigkeit an der Nasenspitze endet und Menschen diffamiert werden? Wo ist unser Mut, wenn im Unternehmen Entscheidungen gefällt werden, die aus eigener Sicht sachlich falsch sind?
Genau: „Mich hat ja keiner gefragt“. Wo ist unser Mut, wenn die Beziehung zu unserem Partner zum bloßen Nebeneinander verkommt? Wo ist unser Mut, wenn unser Freund unsere Grenzen wieder mal überschreitet. Und wo ist unser Mut, wenn ein klärendes Gespräch mit unseren Kindern angesagt ist?
Wir bewegen uns gerne in der Komfortzone, sichern uns ab und geben die Verantwortung lieber an andere ab: Berlin, die Wirtschaft, Trump und Lebensmittelindustrie. Das ist mehr als trügerisch. Denn es ist höchste Zeit, wieder Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Ecken und Kanten zu zeigen. Festzulegen, was für uns geht und was nicht. Das ist die Basis für ein funktionierendes Zusammenleben. Streit ist der Vater aller Dinge, sagte der griechische Philosoph Heraklit. Ein ständiges Ringen um die gemeinsame Wahrheit, nicht um Recht zu haben.
Nein, dass hunderte Übungsleiter und Organisatoren im TSV Verantwortung übernehmen, das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist das Erlernen von Mut und Verantwortung, das unsere Gesellschaft mehr als nötig hat. Und dass an den Türen der Vereinsräume und Sportanlagen nicht enden sollte.
Herzliche Grüße
Jens Gieseler
(Jens Gieseler, Jahrgang 1962, ist freier Journalist und PR-Berater mit den Schwerpunkten Personal und Management. Obwohl nie Mitglied im TSV Schmiden ist er dem Verein seit mehr als 20 Jahren verbunden - als Mitentwickeler und langjähriger Autor des Muskelkater. Und wenn TSV Geschäftsführer Rolf Budelmann nach einem Schreiber oder Mitdenker von außen fragt, sagt er meist „Ja“.)