Fellbacher Zeitung: "Leistungssport mit Medaillen und Rückschlägen"
Im August hat Darja Varfolomeev vom TSV Schmiden bei den Olympischen Spielen in Paris Gold in der Rhythmischen Sportgymnastik gewonnen. Die Basis für den Erfolg wurde vor 40 Jahren gelegt, als der Verein aus Fellbachs Stadtteil zum Bundesstützpunkt wurde. An diesem Wochenende wird das Jubiläum gefeiert – mit einem Fest und mit der sechsfachen Weltmeisterin und Olympiasiegerin Darja Varfolomeev.
Rückblick: Dörte Koch war eine talentierte Gerätturnerin. Doch die wahre Liebe der Schmidenerin gehörte der RSG, wie die Rhythmische Sportgymnastik abgekürzt wird. Die Turnabteilung unter ihrem damaligen Leiter Fritz Höfer beschloss, Trainingszeiten in der Anne-Frank-Halle zur Verfügung zu stellen. Mit Dörte Koch begannen 1983 rund 30 Nachwuchs-Gymnastinnen mit der Rhythmischen Sportgymnastik in Fellbach-Schmiden, 1984 wurde der Bundesstützpunkt gegründet. Schon zwei Jahr später wurde Dörte Koch deutsche Meisterin. Sie startete bei den Europameisterschaften in Florenz als erste Gymnastin aus Fellbach-Schmiden bei einer internationalen Meisterschaft. 1987 wurde die Übungshalle eingeweiht – inzwischen gibt es zwei – und 1996 nahmen die ersten Gymnastinnen aus Schmiden – Magdalena Brzeska, Katrin Hofmann und Kristin Sroka – an den Olympischen Spielen in Atlanta teil.
„Dass der Olympiasieg von Darja Varfolomeev mit dem Jubiläumsjahr zusammenfällt, ist ein glücklicher Zufall und einfach schön“, sagt Michael Bürkle, der Vizepräsident Olympischer Spitzensport beim Schwäbischen Turnerbund (STB), der den Triumph in der Pariser Arena Porte de La Chapelle live und vor Ort miterlebt hat. Er und seine Frau Ingrid Bauer-Bürkle, damals als Trainer in der TSV-Turnabteilung aktiv, waren die Geburtshelfer der RSG in Schmiden – und anfangs auch Herbergseltern für die Gymnastinnen, die bald aus ganz Deutschland in den Stützpunkt kamen. Mittlerweile gibt es ein professionell geführtes Internat, das dem Stützpunkt angegliedert ist.
Der Stützpunkt in Fellbach-Schmiden habe eine kontinuierliche Entwicklung genommen, erklärt Michael Breuning, der Geschäftsbereichsleiter Olympischer Spitzensport des STB. Rückschläge nicht ausgenommen. Denn die gab es durchaus. Eine Zeit lang habe es Bestrebungen innerhalb des Deutschen Turner-Bunds (DTB) gegeben, die Einzelgymnastinnen nicht mehr zu fördern, sondern stattdessen voll und ganz auf die Nationalgruppe zu setzen, erzählt Breuning. Seitdem sich der Stützpunkt 2008 erfolgreich als Nationalmannschaftszentrum beworben hatte und die Nationalgruppe bekam, sei die Einzelgymnastik immer mal wieder auf der Kippe gestanden. „Der DTB hat aufgrund der nicht so guten sportlichen Ergebnisse der Einzelgymnastinnen seine finanziellen Mittel auf die Gruppe konzentriert, aber Verein und STB haben anders entschieden und die Mädchen weiter gefördert.“ Mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt.
Nicht nur die Finanzierung war schwierig. Die Randsportart sah sich auch immer wieder kritischen Stimmen ausgesetzt. Was mit daran lag, dass mangels Trainerinnen im Inland auf erfahrene Kräfte von außerhalb gesetzt wurde, vor allem aus dem Osten Europas, das in der Rhythmischen Sportgymnastik lange als das Maß aller Dinge galt. Anfangs habe man sich bei diesen Kräften bedienen müssen, sagt Michael Breuning. „Sie haben das Training nach ihren Standards geleitet, und wir haben irgendwann gemerkt, dass es einer Änderung bedarf.“
In Schmiden mündete es in einen Skandal und in Kündigungen. 2014 wurde Galina Krilenko von ihrem Amt als Bundestrainerin entbunden, das sie 18 Jahre lang inne hatte. Der Vorwurf, die Weißrussin in Diensten des TSV Schmiden sei bei den Weltmeisterschaften 2011 in Montpellier in Frankreich gegen eine Athletin handgreiflich geworden, wurde per Gerichtsbeschluss bestätigt. Bereits im Juni desselben Jahres waren Anschuldigungen der ehemaligen Schmidener Gymnastin Katerina Luschik gegen ihre Ex-Trainerinnen der Nationalgruppe öffentlich geworden, die zur Trennung von der damaligen Teamchefin Karina Pfennig geführt hatten.
Solche Vorkommnisse gehörten der Vergangenheit an, erklärt Michael Breuning, dem in dieser schwierigen Zeit die Leitung des Stützpunkts in Schmiden als Standortmanager übertragen wurde. Aus den Vorfällen seien Erkenntnisse gewonnen und die Arbeit am Stützpunkt sei weiterentwickelt worden. „Wir haben uns neu ausgerichtet, eine neue Philosophie hat Einzug gehalten, und das Klima ist definitiv anders geworden.“ Getragen werde das Konzept von allen, dem kompletten Betreuerstab und den Verantwortlichen im Bundesstützpunkt in Schmiden, so Michael Breuning. „Wir haben uns ständig weiterentwickelt und werden das auch in Zukunft machen.“ Dazu gehörten auch die Professionalisierung, die Einbindung von Pädagogen, Psychologen und Ernährungsberatern. „Ich kann diese Zeit mit der heutigen nicht vergleichen. Manches hat einfach auch in die damalige Zeit gepasst.“ Und manches war, wie man mittlerweile weiß, auch in anderen Sportarten durchaus gang und gäbe.
Humaner Leistungssport gehe manchmal bis an die Grenzen des Möglichen, sagt Michael Bürkle. Zumal, um die Perfektion einer Olympiasiegerin zu erreichen. 40 Stunden und mehr, so hat die 17-jährige Darja Varfolomeev kürzlich verraten, trainiere sie in der Woche. Doch wenn das Drumherum nicht stimme, sei ein solcher Erfolg erst gar nicht möglich, erklärt Michael Bürkle.
An diesem Samstag wird das Jubiläum gefeiert. Zum Festakt am Stützpunkt in Schmiden haben sich der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl, Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull und STB-Präsident Markus Frank angekündigt.